Katha, Micha und die Meisen

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Dass im Garten der Familie Heinzelmann Singvögel gehegt und gepflegt werden, beginnt wie viele gute Geschichten vor reichlich zehn Jahren in Halifax, Kanada. Im Point Pleasant Park, gleich am Atlantik, haben Katharina, Felix und Franziska ihr ganz besonderes Singvogel-Erlebnis: Meisen und Kleiber fressen im Winter aus der Hand. „Sowas würde ich auch gerne mal zu Hause in Rheinbach machen“, denkt sich Michael, muss aber, als er sich im Internet dazu schlau macht, feststellen, dass das in Deutschland nicht so einfach ist. In Nordamerika sind Vögel, weswegen auch immer, viel zutraulicher als in Deutschland. Singvögel hierzulande aus der Hand zu füttern, geht nur mit ganz, ganz viel Geduld, und das ist Michaels ganz, ganz große Stärke nun gerade nicht. Dann halt normales Vogelfüttern, das ist auch ganz niedlich, und ein Vogelhäuschen zu bauen hat alles, was es für ein gutes Bastelprojekt mit den Kindern braucht. Zumal die Gelegenheit günstig ist, denn kaum wieder aus Halifax zurück, räumt Mechthild mächtig im Garten auf und schneidet ein paar schöne, stark und gerade gewachsene Äste aus dem Ahornbaum. Daraus bauen Franziska, Felix und Katharina mit vereinten Kräften ein Dreibein für das Futterhäuschen. Für das eigentliche Häuschen nehmen sie verschiedene Sperrholzreste, eine wetterfeste Lackierung mit Bootslack auf dem Dach und etwas Reisig von der Fichte fürs rustikale Aussehen.

Gut zehn Jahre ist das nun schon her, doch wie das bei solide gebauten Sachen so ist, tut es das Vogelhäuschen immer noch.  Sicher, hin und wieder gibt es was zu reparieren: Da braucht das Dach einen neuen Anstrich, die Fichtenreiser fallen aus, oder die Dreibeinstangen werden mit den Jahren morsch. Aber dank der nötigen Pflege hält das Häuschen tapfer durch und beschert dem Garten Winter für Winter regen Flugverkehr. Allein fünf Meisenarten kommen regelmäßig – Kohl-, Blau-, Sumpf- und Tannenmeisen futtern gerne im Häuschen drin, Haubenmeisen suchen lieber unten im Rasen nach runtergefallenen Körnern. Und dann sind da noch Buchfinken, Rotkehlchen, Braunellen, Amseln, Spatzen, Kleiber, Grünfinken, Eichelhäher, gelegentlich ein Buntspecht, immer mal wieder ein Eichhörnchen und früher auch mal Tauben, die keiner so recht mochte, weil sie immer alles zuscheißen, nun aber nicht mehr so oft kommen, seit ein Sperber mal eine Taube im Garten geschlagen hat. Von all den kurzweiligen Ereignissen am Vogelhäuschen war das sicherlich das spannendste. Eine geschlagene halbe Stunde hatte der Sperber die Taube, die dazu die meiste Zeit noch schwach mit einem Flügel schlug, erst gerupft und dann zerlegt, bevor er mit den Resten seiner Beute schließlich davonflog.

So sorgt das Futterhäuschen Jahr für Jahr für gute Unterhaltung, was, wenn es nach Michael ginge, sich in den nächsten Jahren auch kein bisschen ändern müsste, aber bei seinen Kindern, … nun ja, da ist das anders. Seine Kinder entwickeln sich nämlich weiter und stellen fest, dass ein bisschen Abwechslung auch nicht verkehrt wäre. „In Kanada“, meint Katharina eines Tages, „ist alles viel besser. Da kann man sogar brütenden Weißkopfseeadlern zugucken. Mit ‘ner Webcam.“

„Mmmmh“, muss Michael zugeben, „das ist in der Tat viel cooler“, aber für Deutschland leider keine gute Option, denn Weißkopfseeadler gibt‘s hier nicht so häufig. Doch ein paar Nummern kleiner könnte was draus werden. Im Internet findet man Leute, die eine Webcam in einen Nistkasten eingebaut haben und so Singvögeln beim Brüten und der Jungenaufzucht zugucken. Gerade in Verbindung mit dem Futterhäuschen sollte sich das gut machen. Das Futterhäuschen lockt im Winter Vögel in den Garten, und da entdecken sie den Nistkasten fürs Frühjahr. So bauen Katharina und Michael in den Herbstferien einen Nistkasten mit eingebauter Webcam. Dieser unterscheidet sich nur wenig von einem normalen Nistkasten; knapp 10 cm höher ist er, damit man oben, schön durch eine Plexiglasscheibe abgetrennt, eine Webcam montieren kann, und ein paar Fenster hat der Kasten obenrum auch, damit genug Licht zum Filmen einfällt. Den Nistkasten hängen Katharina und Michael im Walnussbaum auf, und führen das USB-Kabel der Webcam über ein Verlängerungskabel in die Sitzecke im Garten, wo man dann, wenn alles klappt, im Frühjahr am Notebook den brütenden Meisen zugucken kann.

Dann heißt es erstmal warten und während des Winters die Meisen regelmäßig mit Sonnenblumenkernen und Erdnüssen anlocken, die sie auf das Dach oder in das Einflugloch des Nistkastens legen. Und auf YouTube legen Sie schon mal einen Kanal an, KathaMicha und die Meisen heißt er (gaaanz wichtig: am besten gleich hier anklicken und abonnieren), falls der Nistkasten tatsächlich nette Filmchen abwerfen sollte.

Ende März plötzlich das große Hallo, im Nistkasten baut eine Kohlmeise ihr Nest. Dann geht alles Schlag auf Schlag. Zehn Eier legt die Meise, brütet gut zwei Wochen, und am 22. April – Ostermontag – schlüpfen die Küken. Wobei man die ersten Tage gar nicht so genau sagen kann, ob auch wirklich aus jedem Ei ein Küken geschlüpft ist, dafür ist das Gewusel in der engen Nestmulde ganz einfach zu groß. Aber irgendwann kann man bei genauem Hinsehen zehn hungrige Kükenschnäbel zählen; es ist tatsächlich aus jedem Ei ein Küken geschlüpft. Die wollen vor allem eins: gefüttert werden. Im Minutentakt fliegen die Meiseneltern – nach Katharinas und Michaels Verdacht vielleicht auch ausschließlich die Meisenmutter, zumindest sieht man beide Altvögel nie gleichzeitig am Nistkasten – das Nest an, von ihren Kindern schon mit lautem Gezwitscher erwartet. Dann heißt es, schnell so viele hungrige Schnäbel wie möglich stopfen, den ein oder anderen Kotballen entsorgen und wieder nichts wie weg, neues Futter suchen.

Was für die Meiseneltern purer Stress ist, ist für Katharina und Michael großes Kino, und für die anderen Zuschauer natürlich auch. Denn zu mehreren – sei es mit Felix, Mechthild oder den Nachbarn – macht die Live-Übertragung aus dem Nistkasten am meisten Spaß. Rudelgucken ist halt besser. Und so amüsiert man sich gerne zusammen über die muntere Show der Meisen und hofft gemeinsam, dass die Meiseneltern alle ihre Jungen durchbringen.

Aus diesen Hoffnungen wurde aber leider ganz und gar nichts. Frühe Eisheilige bringen den Küken an ihrem 12. Tag Frost, Schnee und Hagel, und es zeigt sich, dass echte Natur nicht immer kuschelig ist, sondern bei widrigen Umständen richtig unbarmherzig. In nur zwei Tagen rafft es alle zehn Küken dahin, und Katharina und Michael schlägt es ziemlich auf den Magen, beim Blick in den Nistkasten erst acht hungrige Schnäbel zu zählen – und bei acht Schnäbeln hat man ja noch die Hoffnung, dass zwei Kleine einfach nur ihren Einsatz verschlafen hätten – dann nur noch sieben, einen halben Tag drauf sechs, weiter immer weniger und schließlich gar keinen mehr.

Michael versetzt das in gedrückte Stimmung. „Ist schon kacke, dass unser schönes Projekt so ausgeht“, sagt er zu Katharina. „Was machen wir denn jetzt?“

„Ich würd‘ mal sagen“, antwortet die, „wir machen einfach weiter. Ich hab‘ neues Futter im Vogelhäuschen nachgelegt, dass die Meiseneltern im Garten bleiben. Wenn die erste Brut nicht so gut durchkommt, legen die vielleicht eine zweite nach. Und auf die würde ich mich echt freuen.“

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